Am dritten Verhandlungstag im Radio-Dreyeckland-Verfahren vor dem Landgericht Karlsruhe ging es um die Frage, ob zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels noch eine verbotene „Vereinigung“ linksunten.indymedia bestand, die unterstützt hätte werden können. Nach der ausführlichen Vernehmung von drei Polizeizeugen am 24.04.24 ist klar: Dafür spricht wenig bis gar nichts.
Der erste Zeuge war derjenige Beamte beim LKA Baden-Württemberg, der für nahezu alle Verfahren mit möglichem linksunten-Bezug zuständig war. Seine Zusammenfassung der seit dem Verbot begonnenen Ermittlungen ergab: Hinweise auf eine aktive Fortführung des „Vereins“ gibt es nicht. Die Rote Hilfe Kiel habe ein ähnliches Logo in anderer Farbe auf einem Flyer verwendet und es habe vereinzelte Aufrufe zur Erstellung eines Archivs der verbotenen Plattform gegeben. Viel brisanter wurde es nicht. Auf Nachfrage von Verteidigerin Furmaniak fasste der Polizist die Bilanz so zusammen: Es habe unterschiedliche Verfahren aber weder Erkenntnisse noch Ergebnisse gegeben.
Der zweite Zeuge führt beim LKA die neu aufgerollten Ermittlungen wegen Fortführung einer verbotenen Vereinigung gegen diejenigen Personen aus Freiburg, denen damals die Verbotsverfügung für den „Verein“ linksunten.indymedia zugestellt worden war (gemeinsam mit der Durchsuchung ihrer Privaträume). Auch die Befragung dieses Zeugen förderte keine Hinweise auf eine Fortexistenz des „Vereins“ hinter linksunten zutage. Denn sein Bericht fiel kurz aus: Die Auswertung (auch der leeren und ungenutzten!) digitalen Geräte, die bei den Beschuldigten im Rahmen einer neuerlichen Durchsuchung im August 2023 beschlagnahmt worden waren, dauere noch an. Es gebe noch gar keine Erkenntnisse.
Stattdessen ging es dann um die Frage, wieso StA Karlsruhe und Polizei die fünf Personen mit erneuter Repression überziehen. Schließlich hatte dieselbe Staatsanwaltschaft 2023 ein Verfahren wegen der möglichen Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) eingestellt. Genau hierüber hatte der angeklagte rdl-Redakteur in seinem Artikel berichtet. Der für das Verfahren verantwortlich Polizist gab zu, nichts von dem jüngst eingestellten Verfahren gegen dieselben fünf Personen, gegen die er aktuell ermittelt, gewusst zu haben. Auch der federführende Staatsanwalt Graulich räumte ein, dass seit 2020 keine neuen Hinweise für irgendeine Form von Fortexistenz hinzugekommen seien.
Wieso aber muten Staatsanwaltschaft und Polizei den Betroffenen dann erneute die Belastungen eines Strafverfahrens zu? Verteidigerin Furmaniak hatte einen Verdacht: Im Verfahren gegen ihren Mandanten sei der Staatsanwaltschaft irgendwann aufgefallen, dass zum Unterstützen einer verbotenen Vereinigung ja auch eine (existierende) verbotene Vereinigung vorliegen müsse. Statt das Verfahren gegen den rdl-Redakteur wegen einer journalistischen Meldung einzustellen, entschied sich die Staatsanwaltschaft für den Weg der größtmöglichen Repression und versuchte mit aller Gewalt das Fortbestehen eines „Vereins“ linksunten zu beweisen, indem es bei „den üblichen Verdächtigen“ durchsuchte. Die verheerende Bilanz: Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen in den Privatwohnungen von insgesamt sieben Menschen und bei einem unabhängigen Radio und keinerlei Beweise für irgendeinen der Tatvorwürfe.
Auch der vorsitzende Richter machte seinen Unmut darüber deutlich, dass die StA sich nach dem gut begründeten Ablehnungsbeschluss des Landgerichts nicht zunächst auf die Ermittlung des Merkmals „verbotene Vereinigung“ konzentriert habe. Statt den Beschuldigten in Ruhe zu lassen und ggf. zu einem späteren Zeitpunkt erneute anzuklagen, habe man Beschwerde zum OLG Stuttgart erhoben. Dieses goss mit seinen Beschlüssen zusätzlich Benzin ins Feuer: Ohne irgendwelche tatsächlichen Hinweise nahm das OLG an, es sei „überwiegend wahrscheinlich“, dass die Vereinigung fortbestehe. Es gäbe keine Gründe für die Annahme einer Auflösung. Es gäbe schließlich keinen Erfahrungssatz, dass sich Vereinigungen an ihr Verbot hielten. Das OLG nähert sich dabei gefährlich an eine Beweislastumkehr im Strafverfahren, in dem alle Voraussetzungen besonders gründlich nachgewiesen werden müssen und im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden ist. Außerdem verkennt es damit, dass tatsächlich vieles für eine Auflösung des „Vereins“ linksunten spricht:
Obwohl Innenminister De Maizière schon bei der Verkündung des Verbots aufgrund der Lage der Server in Kanada mögliche Probleme beim Vollzug des Verbots eingeräumt hatte, war die Seite von linksunten.indymedia ab dem Tag der Verbotsverfügung nicht mehr erreichbar. Das Gericht versuchte zu klären, wer genau die Website vom Netz genommen hatte. Weder Polizei noch Staatsanwaltschaft haben jemals einen Vermerk verfasst, der dokumentiert, linksunten abgeschaltet zu haben. Der anwesende IT-Sachverständige verwies auf die Fehlermeldung, welche angezeigt worden sei, wenn man linksunten unmittelbar nach dem Verbot gesucht habe: Der Text „Wir sind offline.“ und ein Bild der Schauspielerin Streisand, welches auf den gleichnamigen Effekt anspielt, sprechen dafür, dass die Betreiber von linksunten selbst offline genommen haben. Dass die Adressaten der Verbotsverfügung im Anschluss rechtliches Gehör beim Bundesverwaltungsgericht und beim Bundesverfassungsgericht gesucht haben, lässt Sie in einem rechtstreueren Licht erscheinen als eine Staatsanwaltschaft, die auch ohne Anfangsverdacht wahllos Durchsuchungen anordnet. Dass das OLG Stuttgart den Betroffenen dann auch noch aus der Tatsache, dass Sie gemeinsam geklagt haben, einen Strick drehen will, indem es das als Indiz für das Fortbestehen der verbotenen „Vereinigung“ nimmt, ist rechtsstaatlich extrem besorgniserregend.
Am Nachmittag wurde dann ein letzter Zeuge befragt, um irgendwelche Hinweise auf die mögliche Fortexistenz von „linksunten“ zu finden: Der Freiburger Staatsschutz-Polizist Kurz schilderte zunächst seine Rolle im Verfahren gegen den rdl-Redakteur. Er habe das Verfahren angestoßen und bei der Staatsanwaltschaft nach Rücksprache mit Staatsanwaltschaft Graulich Strafanzeige gestellt. Dass es dann deswegen Durchsuchungen gegeben habe, habe ihn „ehrlich überrascht“. Im Anschluss wurde er zu den Inhalten der Website befragt: Es habe täglich mehrere Dutzende neue Artikel gegeben. Im niedrigen strafrechtlichen Bereich relevant sei nur ein geringer Bruchteil gewesen. Er könne sich an kein einziges Delikt erinnern, bei dem er wegen der Schwere von Amts wegen hätte ermitteln müssen. Die wenigen erfolglosen Verfahren seien hauptsächlich durch Strafanträge aus dem Burschenschafts-Milieu wegen Beleidigung ausgelöst worden.
Der Vorsitzende wollte Kurz dann zur „alten Vereinigung“ befragen, um im Anschluss herauszufinden, ob diese möglicherweise (teil)identisch fortbestehe. Doch Kurz antwortete mit dem bemerkenswerten Satz (sinngemäß): „Linksunten war ja kein Verein, das kam erst später mit der Verbotsverfügung.“ Er wisse von ein paar Gründungstreffen aber linksunten sei von ihm niemals als Gebilde beobachtet worden. Bis 2023 seien ihm die Namen der fünf Adressaten der Verbotsverfügung mit einer Ausnahme unbekannt gewesen. Außer dem Upload der Archivseite habe er auch keinerlei Erkenntnisse zu einer möglichen weiteren Betätigung. Es gebe keine weiteren Anhaltspunkte für eine Fortexistenz, auch nicht im Internet. Er halte es für „durchaus realistisch“, dass das Archiv von jemand Drittem hochgeladen worden sei. Er gehe aufgrund des in der Szene üblichen Antikapitalismus (anders als das OLG) nicht davon aus, dass der Betrieb der Website relevante Kosten verursache. Den Hinweis des Vorsitzenden, bei der nächsten Durchsuchung weniger Fotos anzufertigen, nahm er auf und notierte sich das entsprechende Urteil des OLG Celle.
Das Landes- und Bundesamt für Verfassungsschutz, sowie das Landes- und Bundesinnenministerium wurden zu ihren Erkenntnissen über die mögliche Fortbestehung nach der Verbotsverfügung von linksunten.indymedia und zu Erkenntnissen über die Archivseite und deren Betreibern angefragt. Kurioserweise wartet das Landgericht noch bis heute auf eine Antwort vom Bundesinnenminisiterium, doch auch die Erkenntnisse der anderen Behörden waren sehr überschaubar. Das Bundesamt für Verfassungsschutz verwies lediglich auf die öffentlich verfügbaren Informationen der jährlichen Verfassungsschutzberichte. Außer der Kenntnis des statischen Archivs lägen keine weiteren Erkenntnisse vor, weshalb sich der Aufwand, einen Zeugen zum Gericht zu schicken, nicht lohnen würde – ähnlich die Antwort der anderen Behörden.
Während vor dem heutigen Verhandlungstag noch offen war, ob möglicherweise Informationen über Aktivitäten der “Vereinigung” verschwiegen wurden, verdeutlichen die umfassende, aber magere Beweisaufnahme und die Tatsache, dass mangels Erkenntnisse nicht einmal Zeug*innen der Verfassungsschutzämter vor Gericht befragt wurden einmal mehr: Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels gab es jedenfalls keinen aktiven Verein „linksunten.indymedia“. Die Staatsanwaltschaft hatte es dem Redakteur in Meinungsfreiheits-verkennender Weise als Sympathiebekundung ausgelegt, dass er in seinem Artikel durch das Adjektiv „konstruiert“ angedeutet hatte: Linksunten.indymedia ist erst von den staatlichen Behörden von einem linken Medienprojekt zu einem „Verein“ gemacht worden, um es besser verbieten zu können. Seit dem dritten Verhandlungstag ist klar: Staatsschutzermittler Kurz sieht das genauso.