Am 18.04.24 hat vor dem Landgericht Karlsruhe der Strafprozess gegen einen Radio Dreyeckland-Redakteur begonnen. Die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Karlsruhe wirft ihm vor, durch das Verlinken des Archivs der linken Medienplattform linksunten.indymedia.org in einem Online-Artikel eine verbotene Vereinigung unterstützt zu haben und sich dadurch nach § 85 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Strafgesetzbuch strafbar gemacht zu haben. Etwa 30 Unterstützer:innen begleiteten den Prozess solidarisch im Gerichtssaal, während vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung stattfand, die das Geschehen vor Gericht der Öffentlichkeit näher brachte.
Nachdem der Vorsitzende Richter Heim die Verhandlung, welche wegen des Besucherandrangs im großen Schwurgerichtssaal des LG Karlsruhe stattfand, eröffnet hatte und der für seinen Verfolgungseifer gegenüber Linken bekannte Staatsanwalt Graulich die Anklage verlesen hatte, nutzte Rechtsanwältin Angela Furmaniak, die Verteidigerin des rdl-Redakteurs, ihr Opening-Statement nach § 243 Abs. 5 S. 3 Strafprozessordnung dazu, die besondere Bedeutung der Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz) für die rechtliche Bewertung des Falls herauszuarbeiten. Diese sei keine Selbstverständlichkeit, sondern müsse immer wieder erkämpft werden. Strafverfolgungsbehörden müssten Kritik aushalten und bei ihrer Arbeit das “besondere Schutzbedürfnis der Machtkritik” berücksichtigen. Das Verhalten der Staatsanwaltschaft und die Entscheidung über die Eröffnung des Prozesses im rdl-Verfahren bezeichnete sie zurecht als Tiefpunkt der baden-württembergischen Justiz.
Die große Aufmerksamkeit, die der Fall in Presse und Zivilgesellschaft erregt hatte war an dem vorsitzenden Richter nicht vorbeigegangen. Zum Publikum im Saal merkte er an, wen Wetter und Verkehrsbedingungen nicht von der Anreise abhielten, der müsse in der Tat ein gewisses Interesse haben; und auch die Korrektur eines inhaltlichen Fehlers, der sich in der Berichterstattung im Vorfeld eingeschlichen hatte (mit einer möglichen Revision des Verfahrens würde sich nicht das OLG Stuttgart, sondern der Staatsschutzsenat des Bundesgerichtshofs befassen) ließ er sich nicht nehmen. Demnach war die Kammer des Landgerichts erfreulicherweise bemüht das komplizierte Verfahren möglichst niedrigschwellig und verständlich aufzubereiten. Der Vorsitzende hatte sogar Powerpoint-Folien vorbereitet, mit deren Hilfe er erklärte, auf welche Fragen es maßgeblich ankommt: Existierte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels eine verbotene Vereinigung “linksunten.indymedia”? Kann die Verlinkung des Archivs unter Berücksichtigung der Pressefreiheit als strafbare Unterstützungshandlung angesehen werden?
Beide Fragen hatte die Kammer des LG Karlsruhe in einem 40-seitigen Nichtannahmebschluss vom 16.05.2023 verneint und ausführlich begründet, somit sei kein hinreichender Tatverdacht gegeben und das Verfahren einzustellen. Allerdings hatte das Oberlandesgericht Stuttgart einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft stattgegeben und das Landgericht mit Beschluss vom 12.06.2023 zur Eröffnung des Verfahrens gezwungen.
Es war daher wenig verwunderlich, dass nicht nur zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung, sondern auch zwischen Staatsanwaltschaft und Richterbank erhebliche Differenzen über die Reichweite und Bedeutung der Pressefreiheit zu Tage kamen. Besonders deutlich wurde das bei der Vernehmung des Letzten der drei Polizeizeugen, der am 17.01.2023, die Privatwohnung des rdl-Redakteurs durchsucht hatte. Der vorsitzende Richter kritisierte, dass obwohl der Journalist laut Protokoll fünf Minuten nachdem die Polizei bei ihm auf der Matte stand gestanden hatte, den Artikel verfasst zu haben, nicht nur ein Laptop sondern auch Handys beschlagnahmt worden waren und außerdem unverhältnismäßig viele Fotos mit keinem bis geringem Beweiswert von den Privaträumen des Redakteurs angefertigt wurden. Die Antwort des Beamten, er habe versucht einen Gesamteindruck von der Wohnung zu dokumentieren, um vom Zustand der Aufgeräumtheit Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit des Redakteurs zu ziehen, ließen weder die Verteidigung noch das Gericht durchgehen. Staatsanwalt Graulich verstieg sich hingegen zu schiefen RAF-Vergleichen und hielt die staatlichen Maßnahmen “am Tatmorgen” (Freud’scher Versprecher?) weiterhin für rechtmäßig. Das OLG Stuttgart sei der selben Meinung. Der Vorsitzende wies zurecht darauf hin, das Oberlandesgericht habe in seinem Beschluss vom 07.11.2023 lediglich die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Durchsuchung, nicht aber deren konkrete Durchführung gebilligt.
Weniger kontrovers, aber ebenfalls kurios waren die Ausführungen des Beamten, es sei auffällig gewesen, dass der vorher “redselige” Beschuldigte nach einem Gespräch mit seiner Strafverteidigerin plötzlich gar keine Angaben mehr habe machen wollen. Verteidigerin Furmaniak ließ es sich nicht nehmen, dem Vertreter der Staatsgewalt eine kleine Nachhilfestunde in Strafprozessrecht zu geben und auf ihre Rolle im Strafverfahren – die Wahrung der Rechte ihres Mandanten, was klassischerweise zunächst durch umfangreiche Aussageverweigerung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden erreicht werden kann – hinzuweisen.
Die Kontroverse dürfte nicht die letzte gewesen sein, denn es sind noch mindestens vier weitere Verhandlungstage angesetzt. Am 23.04.24 sollen Feststellungen zur verlinkten Archivseite getroffen werden, bevor am 24.04.24 der Frage auf den Grund gegangen werden soll, ob es überhaupt (noch) einen Verein “linksunten.indymedia” gab, der unterstützt werden hätte können. Am 29.04.24 soll ein IT-Sachverständiger gehört werden und am 30.04 könnten möglicherweise schon Abschlussplädoyers gehalten werden. Soliwelle Dreyeckland wird den Prozess kritisch weiterverfolgen und auf diesem Blog über die einzelnen Verhandlungstage berichten.